Nachdem bisher bei unserer Reise ja immer nur feststand welche Länder wir besuchen aber nicht die genauen Orte, haben wir auch für Guatemala wieder erst kurz vorher entschieden wohin es geht. Von Antigua hatten wir Gutes gehört, uns aber nicht wirklich dafür interessiert, weil wir nach Granada unser Pensum an Kolonialstädten erst einmal als erfüllt ansahen. Eigentlich wollten wir direkt zum Lago Atitlan fahren, interessierten uns aber auch für den Vulkan Acatenango, von dem uns unser Mit-Tauchschüler Vincent erzählt hatte. Antigua schien für beides eine gute Ausgangsbasis zu sein und zudem gab es einen bequemen und vergleichsweise günstigen Shuttle-Service dorthin.
Der Grenzübertritt nach Guatemala gestaltete sich ebenso schnell und einfach wie schon der nach Honduras und gegen Abend kamen wir in Antigua an. Zuvor mussten wir aber noch das nahegelegene Guatemala City passieren, das uns einen kurzen Schock eingejagt hatte als wir für einen kurzen Moment dachten es sei vielleicht Antigua. “Guate”, wie die Einheimischen sie meist einfach nennen, ist dreckig, hässlich, unsicher und dennoch faszinierend! Obwohl es nur knapp so viele Einwohner hat wie Köln, kam es uns wie ein gewaltiger, chaotischer Moloch vor, durch dessen Verkehr und Abgase wir uns eine Stunde lang quälen mussten. Dass wir uns nach Antigua trieben ließen bereuen wir keinesfalls, denn es ist wirklich eine wunderschöne, alte Kolonialstadt und klein genug um gemütlich zu wirken. Zwar ist es durchaus auf Touristen ausgelegt und man kann eine Vielzahl von Unterkünften, Restaurants und Bars in Anspruch nehmen, aber unser Reiseführer behielt auch recht damit, dass der Charakter der Stadt dennoch guatemaltekisch bleibt. Wir ließen es uns letzten Endes eine knappe Woche dort gutgehen, obwohl wir ursprünglich nur zwei Nächte eingeplant hatten.
Unsere Unterkunft war einfach, aber sauber und günstig und wir müssen zugeben, dass wir ansonsten einige westliche Annehmlichkeiten dort auskosteten. Was unsin Antigua als Erstes auffiel war, dass auch dort die Menschen recht klein sind und man viele Angehörige des Maya-Volkes in ihren farbenfrohen Trachten im Zentralpark und rund um den Stadtkern allerlei Textilien und Souvenirs feilbieten sah. Antigua ist schachbrettartig angelegt und sobald man das System der Straßennamen einmal verstanden hat, findet man sich leicht zurecht. Der einfachste Bezugspunkt ist dabei der riesige, über der Stadt aufragende Vulkan Agua im Süden. Man kann in Antigua im Grunde überall zu Fuß hingehen oder an faulen Tagen eines der billigen Tuk-Tuks besteigen um damit über das allgegenwärtige Kopfsteinpflaster zu holpern. Antigua war sogar mal die Hauptstadt Guatemalas, wurde aber durch mehrere Erdbeben so stark beschädigt, dass man die Hauptstadt 1776 ins heutige Guatemala City verlegte. Die Spuren dieser Erdbeben kann man auch heute noch an vielen Orten der Stadt sehen, denn es gibt viele Ruinen von Kirchen, die nie wieder aufgebaut wurden, so wie z.B. auch der größte Teil der Kathedrale von Antigua.
Die langen, flachen Gebäude, von denen viele aus Kolonialzeiten stammen, sind größtenteils schön restauriert und sorgen mit ihren bunten Fassaden für ein sehr schönes Stadtbild. Die Kehrseite dieser Medaille sind die vielen Bettler und Obdachlosen, die man überall in der Stadt antrifft und die hoffen, dass auch ein paar Krumen für sie abfallen. Ein weiterer sehr bedenklicher und trauriger Umstand ist, dass wir dort mehr Kinder arbeiten sahen als in allen Ländern, durch die wir bisher kamen. Egal an welchem Wochentag und zu welcher Uhrzeit sah man sie allein oder mit älteren Verwandten durch die Stadt ziehen um Waren und Dienstleistungen anzubieten.
Wie erwähnt hatte uns auch der Vulkan Acatenango nach Antigua gelockt oder genauer gesagt sein Nachbarvulkan Fuego. Zusammen mit dem Vulkan Agua sind dies die drei Vulkane, die Antigua einrahmen und von denen man mindestens einen von den meisten Orten der Stadt aus sehen kann. Der Name “Fuego” (spanisch für Feuer) könnte nicht passender sein, denn dieser Vulkan ist sehr aktiv und bricht andauernd aus. Nicht etwa alle paar Jahre oder Monate, sondern jeden Tag und das oft sogar mehrmals in der Stunde! Zumindest ist er seit ca. zwei Monaten äußerst aktiv und da wir davon wussten und schon von Antigua aus die ständig über seinem Gipfel aufsteigenden Rauchsäulen sahen, war für mich klar – ich muss das aus der Nähe sehen! Vor gut 10 Jahren hatte ich die Insel Reunion besucht und war dort auf noch warmen, frischen Vulkangestein herumgelaufen, aber glühende Lava oder einen Ausbruch hatte ich zu meinem großen Bedauern noch nie erlebt. Wir wussten bereits, dass es möglich war den knapp 4000 Meter hohen Acatenango zu besteigen um von dort aus in unmittelbarer Nähe zu Fuego die Eruptionen zu beobachten. Janina war sich allerdings unsicher ob sich der Stress einer geführten Tour mit ihrer Höhenangst in Einklang bringen ließe und entschied sich nicht mitzugehen. Ich buchte also allein für knapp 100 Dollar eine Tour bei Old Town Outfitters und wurde gewarnt, dass es sehr anstrengend werden würde und zudem Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt zu erwarten seien. Wir verbrachten daher einen halben Tag damit den riesigen, öffentlichen Markt nach billiger, warmer Kleidung zu durchforsten. Wir hatten gelesen, dass dort zum Einen die Einheimischen ihre Kleidung kaufen und dass zudem an der Nordseite des Marktes massenweise Kleidung angeboten wird, die aus Altkleidersammlungen stammt. Es ging das Gerücht, dass man dort hochwertige, teure Markenkleidung für ein paar Euro ergattern konnte. Der Teil des Marktes entpuppte sich als riesiges Labyrinth mit zum Bersten vollgestopften, kleinen Abteilen und zu finden war dort mit etwas Glück und viel Geduld tatsächlich fast alles. Am Ende war es zwar keine Markenkleidung aber ich bekam eine neue Jeans, dicke Socken, Mütze und Handschuhe, sowie eine fleece-gefütterte Jacke für knapp 20 Euro zusammen (auch wenn die Jacke eigentlich ein Modell für Frauen war).
Um 8 Uhr morgens fand ich mich dann am Abfahrtsort ein und traf dort unseren Guide Ricardo, sowie die anderen Teilnehmer Chris und Emma aus Irland, Tom und Alina aus den USA, Phil aus England und das Schweizer Pärchen Bernadette und Manuel. Wir fuhren zunächst nach La Soledad, einem winzigen Dorf auf 2400 Meter Höhe. Von dort ging es durch Maisfelder, dann durch Nebelwald und Bergwald rauf bis zum Camp auf etwas über 3700 Meter. Man hatte und gesagt, dass wir 2-3 Liter Wasser pro Tag mitbringen sollten und zusammen mit Zelt, Iso-Matte, warmer Kleidung und Schlafsack, sowie Kamera und etwas Proviant wurde mein Rucksack sauschwer! Nachdem ich auf der Hinfahrt erfahren hatte, dass einige der Teilnehmer sich entschlossen hatten Träger zu engagieren, nahm auch ich die Gelegenheit schnell noch wahr und wurde mit Zelt, Matte, Schlafsack und 4 Liter Wasser einige Kilo Gewicht los. Schon zu Beginn des Aufstiegs war ich darüber heilfroh denn der Weg war sehr steil und die erste Stunde am schlimmsten. Die schöne Natur während des Aufstiegs konnte ich nur bedingt genießen denn es war unheimlich anstrengend und auch wegen der dünneren Luft war ich ziemlich am Keuchen. Nach etwa dreieinhalb Stunden hatten wir es dann geschafft und waren am Lagerplatz angekommen. Verblüfft haben mich die einheimischen Träger, die mit vollgepackten Netzen auf dem Rücken scheinbar mühelos den Berg hinaufspaziert waren. Als wir oben waren, bauten sie auch noch die Zelte auf und schleppten Feuerholz heran. Ricardo kümmerte sich um’s Essen und der Rest von uns war erschöpft und etwas missmutig weil unser Objekt der Begierde sich zunächst in Wolken hüllte und uns nur durch das Grollen, Donnern und Zischen der gelegentlichen Eruptionen wissen ließ, dass er da war. Ricardo prophezeite aber, dass es aufklaren würde und sollte recht behalten.
Der Vulkan Fuego ließ sich sehen und noch vor Sonnenuntergang konnten wir unsere ersten Ausbrüche bestaunen. Anfangs kamen sie sehr unvermittelt und man sah etwas passieren, bevor einen der Schall davon erreichte. Schaute man erst hin wenn man etwas hörte, konnte das meiste schon vorbei sein. Manchmal entwich nur etwas Qualm und man hörte den Vulkan zischen und fauchen, was sich mitunter fast wie ein Flugzeug anhörte. Dann gab es aber auch noch die richtigen Ausbrüche in verschiedener Heftigkeit. Entweder wurden Steine, Lava und Qualm hoch in die Luft geschleudert und es folgte kurz darauf ein explosionsartiger Knall oder die Lava sprühte einfach aus dem Kegel. Bei den größeren Ausbrüchen konnte man danach noch erstaunlich lange die Gesteinsbrocken auf die Flanken des Berges herunterprasseln hören. Es war ein ehrfurchtgebietendes Schauspiel und ich war glücklich und aufgeregt wie ein Kind an Weihnachten es erleben zu können. Das Beste stand uns aber sogar noch bevor, denn wenn es dunkel ist, sieht ein Vulkanausbruch ungleich gewaltiger und schöner aus! Es war eine tief beeindruckende und atemberaubende Demonstration der Naturgewalten und ich empfinde tiefe Dankbarkeit es erlebt haben zu dürfen. Knapp unterhalb des Gipfels eines Vulkans am Lagerfeuer zu sitzen und direkt vor sich einen anderen Vulkan beim Ausbrechen zu beobachten, war eine ganz besondere Erfahrung, wie sie einem nur selten vergönnt ist. Wir hatten außerdem eine sternenklare Nacht, der Blick ins Tal auf den dunklen, stillen Vulkan Agua und die Lichter von Antigua und Guatemala City in der Ferne war ebenfalls wunderschön und zuguterletzt waren um mich herum sehr nette Menschen aus vielen Ecken der Welt, die darüber ebenso glücklich waren wie ich. Die Anstrengungen des Tages und die garstige Kälte nahmen wir dafür gern in Kauf. Die meisten von uns saßen oder lagen lange auf dem staubigen Boden und fummelten an unseren Kameras herum in dem Versuch, das was wir sahen auf halbwegs brauchbare Bilder zu bannen. Es blieb trotzdem genug Zeit für schöne Gespräche und auch dafür das einzigartige Schauspiel einfach nur zu erleben und in sich aufzunehmen. Fuego enttäuschte uns nicht und brach meist mehrmals in der Stunde aus. Noch nachdem ich in mein Zelt gegangen und in den warmen Schlafsack gekrochen war, blickte ich direkt aus dem Zelt lange auf den Vulkan und die rotglühende Lava, die er immer wieder ausspuckte. Dabei gelangen mir auch die besten Fotos. Viel Schlaf bekamen wir in der Nacht alle nicht. Vielleicht wegen der Höhe, auch wenn keiner von uns höhenkrank wurde, oder wegen der Kälte und nicht zuletzt weil Fuego einen immer wieder mit einem lauten Knall weckte. Sogar ein Mini-Erdbeben gab es noch als ich in meinem Zelt lag – neben einem Vulkanausbruch auch etwas, das ich immer schon mal erleben wollte.
Am nächsten Morgen weckte Ricardo uns vor 5 Uhr damit man die letzten, steilsten 200 Meter über loses Geröll zum Gipfel des Acatenango erklimmen konnte um sich von dort aus den Sonnenaufgang anzusehen. Mein rechtes Knie machte mir aber etwas Probleme, also sah ich ihn mir lieber vom Lagerfeuer im Camp aus an. Es folgte noch ein 3-stündiger Abstieg, der für mich zur Tortur wurde, denn mein Knie begann nach einer halben Stunde höllisch zu schmerzen. Da ich sowas ja leider nicht das erste Mal erlebte, hatte ich mir von vornherein sicherheitshalber Wanderstöcke ausgeliehen, was meine Rettung war. Außerdem hatte ich das Frühstück ausgelassen und war vor den anderen gestartet um es langsamer angehen lassen zu können. Ricardo stellte mir einen der einheimischen Träger zur Seite, damit ich mich nicht verlaufen würde. Dennoch kam ich als Letzter am Bus an, wo die anderen bereits warteten. Kaum hatte ich mich hingesetzt, drückte Chris mir ein Bier in die Hand, das ich dankbar hinunterstürzte. Alles in allem war es eines meiner anstrengendsten und schmerzhaftesten Erlebnisse, aber auch ein absolut einzigartiges und atemberaubend wundervolles und daher war es all die Mühen wert!